Interventioneller Vorhofohrverschluss

Eine Alternative zur lebenslangen Antikoagulation

In Deutschland erleiden pro Jahr ca. 300.000 Menschen einen Schlaganfall. Wahrscheinlich wird ein großer Teil kleinerer Schlaganfälle gar nicht bemerkt. Ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel aller Schlaganfälle wird auf die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern zurückgeführt. Vorhofflimmern ist eine häufige Erkrankung des Erwachsenenalters und nimmt mit zunehmendem Alter erheblich zu.

Heute kann man Schlaganfällen bei Vorhofflimmern auch ohne Blutverdünner vorbeugen. Schlaganfälle bei Vorhofflimmern werden durch Blutgerinnsel verursacht, die in einem Blindsack im Herzen, dem sogenannten Vorhofohr, entstehen. Gerade bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko kann man mit Hilfe eines Herzkatheters den Ursprungsort der Blutgerinnsel, das Vorhofohr, mit einer Art Korken verschließen. Dann können dort keine Blutgerinnsel mehr entstehen und Sie müssen nicht mehr dauerhaft Blutverdünner einnehmen.


Informationen & Kontakt

Prof. Dr. med. Heyder Omran
Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Interventionelle Kardiologie/DGK, Hypertensiologie DHL

St.-Marien-Hospital, Abteilung Innere Medizin
Telefon 0228 505-2101
inneremedizin (at) marien-hospital-bonn.de

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Hintergrund

Vorhofohr mit Thrombus
Schlaganfall im CT
Schwere Hirnblutung

Ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel aller Schlaganfälle wird auf die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern zurückgeführt. Infolge des Vorhofflimmerns wird das Blut in den Vorhöfen schlechter durchmischt und fließt langsamer. Es können Blutgerinnsel (Thromben) entstehen, insbesondere dort, wo der Blutfluss sehr langsam ist. Dies ist insbesondere im Vorhofohr, einer Art Blinddarm des Herzens, der Fall. So entstehen Thromben in weit über 90% der Fälle hier.

Löst sich ein solches Gerinnsel ab, kann es prinzipiell in alle Körperteile verschleppt werden (Embolie) und Infarkte verursachen. Verschließt ein Thrombus eine Hirnarterie, kommt es zu einem Schlaganfall. Dies ist die schwerste Komplikation von Vorhofflimmern. Schon Anfang der 60er Jahre konnte man zeigen, dass man mit Hilfe von Medikamenten, die die Blutgerinnung beeinflussen, das Risiko von Emboliensenken kann. Das allgemein bekannte Aspirin senkt die Rate von Schlaganfällen um ca. 20% pro Jahr, während stärkere, die Blutgerinnung beeinflussende Medikamente, wie z. B. Marcumar®, das Risiko sogar um 60% senken können.

Allerdings hat eine Münze immer zwei Seiten. Medikamente können zwar das Risiko von Schlaganfällen senken, erhöhen aber auch das Risiko von Blutungen. Schwere Blutungen treten durchschnittlich in ca. 3% der Fälle pro Jahr auf. Blutungen in den Kopf oder das Gehirn sind besonders gefürchtet und treten mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1% pro Jahr auf. 

Diese Schwierigkeiten mit gerinnungsaktiven Medikamenten haben die Forschung stimuliert, Alternativen zu entwickeln. Statt Medikamente zu benutzen, entwickelte man ein Verfahren, den Entstehungsort von Blutgerinnseln im Herzen, das Vorhofohr, über einen Herzkatheter zu verschließen und so mechanisch der Entstehung von Thromben vorzubeugen.

Nachdem dieses Verfahren in Tiermodellen untersucht worden war, haben Prof. Sievert und ich im August und September 2001 das Verfahren erstmals beim Menschen erfolgreich durchgeführt. In den letzten 10 Jahren wurde es wissenschaftlich aufgearbeitet und weiterentwickelt. In einer großen Studie konnte gezeigt werden, dass das Verfahren einer medikamentösen Therapie nicht unterlegen ist und das Risiko von Blutungen deutlich senkt.

Anatomie und Funktion des Vorhofohres?

Das Herz besteht aus vier Herzhöhlen. Man unterscheidet die linke und rechte Hauptkammer sowie den linken und rechten Vorhof. Die Vorhöfe transportieren das Blut in die Hauptkammern, aus denen es entweder in den Lungenkreislauf oder in den Körperkreislauf transportiert wird. An den Vorhöfen gibt es jeweils einen blindsackartigen Anhang. Diesen nennt man Vorhofohr.

Schlägt das Herz im natürlichen Rhythmus, d. h. im Sinusrhythmus, unterstützt die Kontraktion des Vorhofs die Füllung der jeweiligen Hauptkammer. Unter Vorhofflimmern verliert der Vorhof diese Funktion weitgehend und das Blut fließt langsamer in den Vorhöfen. Hält Vorhofflimmern länger an, werden die Vorhöfe und auch die Vorhofohren größer. Der langsame Blutfluss, insbesondere in den Vorhofohren, begünstigt die Entstehung von Blutgerinnseln. Diese bilden sich dann auch typischerweise in der Spitze des linken Vorhofohres.

Schematische Herzzeichnung
Linkes Vorhofohr im CT

Wie kann man das Vorhofohr verschließen?

Bis vor einem Jahrzehnt konnte man das Vorhofohr ausschließlich im Rahmen einer Operation am offenen Herzen verschließen oder abschneiden. Der Operateur band am Ende einer Herzklappenoperation bei Vorhofflimmern das Vorhofohr mit einem Faden zu oder schnitt es ab und versiegelte den Stumpf mechanisch. Zweifelsfrei ist eine Operation am offenen Herzen für jeden Patienten eine erhebliche Belastung. Daher wird der operative Verschluss des Vorhofohres auch nur im Zusammenhang mit anderen Operationen durchgeführt, z. B. einem Herzklappenersatz.

Michael Lesh, ein Erfinder und Arzt, entwickelte Ende der 90er Jahre ein alternatives Verfahren, das auf einem Herzkatheter basierte. Die Idee war, das Vorhofohr nicht abzuschneiden oder mit einem Faden zu verschließen, sondern von innen quasi zu verkorken. Der Vorhofohrkorken war geboren. Das erste Gerät war fast so rund wie ein Ball und hatte mehrere Reihen von Haken, mit denen das selbstexpandierende Gerät sich in der Wand des Vorhofohres verankerte. Um an das Vorhofohr zu kommen, wird üblicherweise eine Schleuse in die Leistenvene gelegt und dann ein Herzkatheter über den rechten Vorhof durch die Trennwand zwischen rechtem und linkem Vorhof in den linken Vorhof vorgeschoben. Danach kann das Vorhofohr sondiert werden und das Verschlusssystem von innen in das Vorhofohr eingebracht werden. Nach erfolgreicher Prozedur wird der Herzkatheter entfernt und die Punktionsstelle verschlossen.

In der letzten Dekade wurden verschiedene neue Systeme eingeführt und die Technik weiter verfeinert. In einer großen Studie konnte sogar gezeigt werden, dass diese Technik einer Therapie mit gerinnungsaktiven Medikamenten nicht unterlegen ist und die Rate schwerer Blutungen erheblich senkt. Heute werden in Deutschland über 10.000 Geräte (sogenannte Okkluder) pro Jahr implantiert. Die Sicherheit der Anwendung ist mittlerweile sehr hoch und die Prozedur kann häufig in weniger als einer Stunde durchgeführt werden.

Die Abbildung unten zeigt das Vorhofohrverschlusssystem der Firma St. Jude Medical, was aus zwei Teilen besteht: Einem Körper, der das Gerät im Vorhofohr verankert und einem Deckel, der das Vorhofohr von oben zusätzlich versiegelt. In einem dreidimensionalen Herzultraschall können Sie die Funktion des Deckels besonders gut erkennen.

CT-Bild
Vorhofohrverschlusssystem
Dreidimensionaler Herzultraschall vor und nach Vorhofohrverschluss

Was sind die Risiken des Eingriffs?

Jeder medizinische Eingriff birgt allgemeine und spezielle Risiken. Die allgemeinen Risiken sind mit der venösen Punktion und dem Herzkatheter als solchem assoziiert. Es besteht ein minimales Risiko für Infektionen, Embolien oder auch Blutungen an der Punktionsstelle. Spezifische Risiken ergeben sich durch die Sondierung des Vorhofohres und die Einbringung des Geräts. Es kann zu Verletzungen der Herzwände und Blutungen in den Herzbeutel kommen. Bei den ersten Implantaten war dies recht häufig. Mittlerweile liegt dieses Risiko bei 1 bis 2%. Eine seltene Komplikation ist die Verschleppung (Embolisation) des Gerätes, d. h. der Korken bleibt nicht im Vorhofohr stecken, wo er eigentlich hingehört, sondern wird in andere Körperregionen verschleppt. Dieses Risiko ist geringer als 0,5%. In der Regel kann man den verlorenen Okkluder mit speziell dafür entwickelten Kathetern einfangen und bergen. Aktuell liegen die Komplikationsraten bei ca. 3%, damit ähnlich hoch wie bei der Ablation von Vorhofflimmern oder anderen komplexen Herzkathetereingriffen.

Für wen ist dieses Verfahren geeignet?

Das Verfahren ist trotz seiner mittlerweile relativ niedrigen Komplikationsrate insbesondere für Patienten mit Vorhofflimmern und besonderen Risikomerkmalen geeignet. Dazu zählen vor allem Patienten,

  • mit erhöhtem Risiko für Blutungen,
  • oder Blutung unter Einnahme von Blutverdünnern,
  • oder Medikamentenunverträglichkeit.

Aber auch Patienten, die trotz einer effektiven Antikoagulation erneute Schlaganfälle oder Embolien bekommen, profitieren von dem Verschluss des Vorhofohres. Schließlich gibt es eine Gruppe von Patienten, bei denen die Einnahme von Medikamenten nicht ausreichend sichergestellt oder kontrolliert werden kann.

Für wen ist dieses Verfahren nicht geeignet?

Bei allen Patienten  mit niedrigem Risiko für Blutungen und guter Verträglichkeit der gerinnungsaktiven Medikamente ist dieses Verfahren nicht anzuraten. Manchmal machen auch individuelle Merkmale eine technische Durchführung der Prozedur nicht möglich. Dazu wird Sie Ihr behandelnder Arzt beraten.

Kann ich mein Blutungsrisiko abschätzen?

Mittlerweile gibt es eine Reihe von Faktoren, anhand derer man das individuelle Risiko für Blutungen abschätzen kann. Bei erhöhtem Risiko sollte eine Behandlung mit gerinnungsaktiven Medikamenten gut überlegt werden und der Nutzen genau bestimmt werden. Der aktuell empfohlene Risiko-Katalog heißt HASBLED score und beinhaltet 7 Kriterien:

1. Hypertension (Bluthochdruck)

1 Punkt

2. Abnormale Nieren- oder Leberfunktion

1 bis 2 Punkte

3. Schlaganfall

1 Punkt

4. Blutung

1 Punkt

5. Labile INR Werte (schlechte Einstellbarkeit    
    von gerinnungsaktiven Substanzen)

1 Punkt

6. Elderly (Alter > 65 Jahre)

1 Punkt

7. Drogen oder Alkoholkonsum

1 bis 2 Punkte

Das Risiko von Blutungen nimmt mit jedem Punkt zu. Ab 3 Punkten beträgt das jährliche Blutungsrisiko 3 bis 4% unter einer oralen Antikoagulation. Rechnen Sie sich Ihr Risiko aus!

Was muss man nach der Implantation eines Vorhofohrverschlusssystems beachten?

Eigentlich lange nicht so viel wie bei einer gerinnungsaktiven Medikation. Sie sollten in der ersten Woche keinen Sport betreiben, um die Punktionsstelle zu schonen. Bei Fieber sollten Sie Ihren Arzt aufsuchen und in den ersten sechs Monaten nach dem Eingriff auch ein Antibiotikum einnehmen. Bei uns ist es üblich, dass wir nach einem Monat und nach spätestens sechs Monaten die Lage des Gerätes mit Herzultraschall kontrollieren und das weitere Vorgehen besprechen. In der Zwischenzeit sollten Sie regelmäßig Aspirin und Clopidogrel einnehmen. Beide Medikamente sorgen dafür, dass das Gerät sicher einheilen kann. Nach sechs Monaten reicht in der Regel die Einnahme von Aspirin.